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Lost in Babbel
Als Migrant ohne Hintergrund in Rheinhessen
Uiuiui!
Rheinhessen - ganz vorne!
Spargel über'm Rainer
Ein kleiner Rückblick auf einen sonnigen Tag im Mai. Das Leben hat mich nach Rheinhessen verschlagen. Ich genieße: die Menschen sind wie ihr Wetter - die gefühlte Temperatur ist immer warm. Ihre Sprache klingt wie der Fluss an dem sie leben, sie fließt, rauscht und zischelt, Ecken und Kanten sind ihr fremd. Man ist kommunikativ: Zeit für einen Spaß nimmt man sich gerne, egal ob an der Käsetheke oder auf der Post.
Jedenfalls schmeckt es besonders gut, an diesem frühsommerlichen Tag. Wir essen Spargel bei Oma Martina, und ich versuche den zahlreich im Dialekt vorgetragenen Worten zu folgen. Es geht um das, was früher war, um die Amis und noch früher, um die Franzosen, schließlich um den leckeren "Schbaschl". Ich nicke bestätigend auch dann, wenn ich nicht verstehe, und ich hoffe, dass sich der Sinn am Ende erschließen wird. Das Spiel ist etwas riskant, aber wer will schon der Schnösel sein, der ständig um Wiederholung und Übersetzung ins Hochdeutsche bittet?
Der Spargel jedenfalls - das höre ich klar und deutlich - kommt "von über'm Rainer". Das freut mich, denn Rainer kenne ich gut - der wohnt wie ich in Nierstein. Ein Gemüseladen über seiner Wohnung ist mir allerdings noch nie aufgefallen, aber vielleicht handelt es sich ja um eine Art Schwarzmarkt. Hier in Rheinhessen ist ja so Manches unkonventionell.
Rainer selbst weiß nichts vom Gemüsehandel im Obergeschoss, aber er wisse, sagt er, dass die Mieterin über ihm eine große Dachterasse habe, und vor kurzem habe sich ein kleiner Wasserfleck an seiner Badezimmerdecke gebildet. Die Dame ist sehr freundlich, als sie die Tür öffnet: Nein, Spargel verkaufe sie keinen lacht sie, aber sie habe gerade welchen im Topf, und wenn Rainer und ich Appetit hätten, könnten wir gerne gemeinsam mit ihr auf der Dachterasse speisen. Der Spargel sei sicher sehr gut, der käme von über'm Rainer. "Oh" sage ich wissend und nicke, "dann ist er wirklich ausgezeichnet". Dankend muss ich dennoch die Einladung ablehnen, denn schließlich habe ich selbst heute Küchendienst. Es wird wohl auf Spaghetti Bolognese hinauslaufen.
Drei Wochen später habe ich alle Niersteiner Rainers, die ich ausfindig machen konnte, abgeklappert. Keiner hatte Spargel. Die Sache ist mir ein Rätsel, und ich habe den Zeitpunkt verpasst, Oma Martina zu fragen, wo dieser Rainer denn wohne.
So höre ich jedes Jahr im Frühsommer beim Tischgespräch den Satz: "Der Spargel kommt von über'm Rainer", und wie stets nicke ich freundlich. Irgendetwas allerdings, das spüre ich, stimmt da nicht.
Guten Appetit! M.S.
Guude!
Ich sag's gleich: ich bin kein Rheinhesse, ich tu' nur manchmal so, auch wenn der Rheinhesse das selbstverständlich sofort durchschaut und der Nicht-Rheinhesse ebenfalls schnell dahinter kommt. Aber was bleibt mir denn anderes übrig? Integration wird allenthalben gefordert (auch wenn eher Assimilation gemeint ist). Ich gebe mein Bestes! "Zugezogener" bin ich - das klingt wie eine Mischung aus ungezogen und zugebrettert. So will ich nicht sein - das geht nicht.
Ein Kurde kann einen Gemüseladen eröffnen, ein Pakistaner eine Pizzeria und ein Ghanaer einen Afroshop. Selbst der Kieler käme noch mit einer Sprottenbude durch. Aber ein Westfale? Würden Sie in meinem BVB-Fanshop kaufen, wenn ich ihn in Nierstein eröffnete? (Sagen Sie "ja", dann mache ich das sofort!) Also gründete ich im Jahr 2013 einen rheinhessischen Mundart-Postkartenverlag. Integrierter geht nicht, dachte ich mir.
Was dann geschah und wie es weiter geht, werden Sie hier künftig in ungezogener Reihenfolge lesen können, natürlich nur wenn sie mögen. Mögen Sie bitte?
Tüssken! M.S.