Lost in Babbel - Kornsand Verlag

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Lost in Babbel


Als Migrant ohne Hintergrund in Rheinhessen

Uiuiui!


Es gibt diese Termine, die rücken unaufhaltsam näher, man weiß es, möchte es doch nicht wahr haben, und plötzlich ist es dann so weit. Die ersten Zeichen übersieht man, denn das ganze Thema steckt in irgendeiner verschlossenen Kiste der Psyche, und eines Morgens steht das Päckchen dann statt Frühstück auf dem Tisch, appetitlich und verdaulich wie Pappkarton. So war es im Februar:

„Verdammt, ich brauche eine Krawatte – jetzt, sofort!“. Immerhin ist meine Frau Schneiderin.
„So etwas weiß man doch vorher. Ich habe einen vollen Terminplan.“
 
Ja, ich wusste es vorher, ganz konkret seit dem Nachmittag des Vortags, und die bereits erwähnten Vorboten meldeten sich noch ein paar Tage früher bei Jürgens Geburtstag. Schön war es da, gemütlich, lustig, köstlich und interessant – eine sympathische Gesellschaft, und wie in Rheinhessen üblich, saß die Schwiegermutter mit am Tisch. Die war dann auch Urheberin der äußerst gelungenen Mousse, und es war der Runde eine große Freude, sie dafür ausgiebig loben zu dürfen. Die überaus jugendliche Dame freute sich und berichtete von der umfänglichen Arbeit, die sie investiert hatte, Jürgen zu Ehren.  Da brach es plötzlich aus allen Ecken hervor:
„Uiuiuiuiuiuiui auauauauau, uiuiuiuiuiuiui auauauauau.“
 
„Was war denn das?“, fragte ich Anne auf der Heimfahrt von Gonsenheim nach Nierstein, und ihre Augen leuchteten eigentümlich, als sie mir von einem alten rheinhessischen Lied erzählte.
Wenige Tage später war die Episode vergessen, ich ging meinen Aufgaben nach, und es erwischte mich kalt, als ich an einem Mittwochnachmittag meinen Arbeitsplatz verließ: „Morsche Krawadde umbinde!“, rief mir plötzlich die Vermieterin des Verlagsbüros hinterher, und als ich mich erschrocken zu ihr umdrehte, setzte sie ein’s drauf: „Altweiber!“
 
Nun, ich habe meiner Frau beim Pappfrühstück die Krawatte abgerungen - an den verhandelten Hausarbeitspflichten werde ich noch lange zu knabbern haben. So saß ich den ganzen Tag mit dem Scheißding um den Hals im Büro, allein, es kam niemand, sie abzuschneiden, denn die schnippischen Ladys schunkelten durch Mainz. Damit war das Thema Karneval für mich erledigt, bis es mir ein Jahr später plötzlich wieder bevorstehen würde. So dachte ich. (Ja, ja, schon gut, ich weiß, das heißt hier nicht Karneval.)
 
Pustekuchen nächstes Jahr: Am Tag darauf - es war Abend, und ich stand noch am Herd, schallte ein Klang aus dem Wohnzimmer, den in meinen eigenen vier Wänden zu hören ich nie für möglich gehalten hätte. Ich sag’ nur Tusch.
 
„Das ist nicht Dein Ernst!“
„Stell’ Dich nicht so an, das ist hier so. Und der Jürgen guckt das auch.“
„Ja, aber der ist auch Meenzer.“
„Nö, Koblenzer.“
 
Was soll ich sagen – ich hab’s zum ersten Mal getan, stundenlang. Was ich nicht verstanden habe, ist warum es in fast jedem Beitrag um die gleichen Themen ging, nur anders verpackt: um die Schiersteiner Brücke, Altmaiers Bauch, um Trump - der war eigens mit seinem pfälzischen Bruder angereist - und um den anderen Komiker, den von der AfD. Der Junge gab sich so schön Mühe, salutierte und exerzierte durch den Saal und wurde doch den ganzen Abend über gehänselt. Wahrscheinlich war das auch früher schon so, sonst wäre er nicht so geworden. Übrigens ist das ebenfalls ein bekannter psychologischer Mechanismus: erfahrene Ablehnung immer wieder spüren wollen. Kann er haben - und das nicht nur im Februar.  
 
Irgendwann gegen Ende der thematischen Endlosschleife zeigte Anne mir noch ein Foto auf dem Handy. Es kam von Tanja: Jürgen schlafend auf dem Sofa. Toll! So kann ich das auch!

Also: das war Fasching beim Außerirdischen in Rheinhessen, und jetzt dürfen Sie zu Recht singen: „Uiuiuiuiuiuiui………………

MS

Rheinhessen - ganz vorne!


Vor das Mainzer Programmkino haben die Götter keinen Parkplatz, aber die Parkplatzsuche gesetzt. Nun hat sie ein Ende. Nach x-fach absolvierten Runden auf dem Survival-Parcours Mainzer Einbahnstraßen sehe ich ihn: unseren Parkplatz! Mehrmals schon haben wir uns getäuscht, als sich im letzten Moment ein blöder Motorroller hinter einer sichtraubenden Karosse zeigte, oder als ein Schild lediglich Lieferanten oder anwohnenden Tanten das Parken gestattete. Dafür bekommt man einen Blick, nach zwei oder drei Stunden. Jetzt ist alles klar: da vorne ist ein Parkplatz.

Etwas schräg nach links ist er gebaut, eingerahmt von einem schwarzen VW-Touran mit Frank-Zappa-Aufkleber zur Linken und einem metallischen Skoda-Kombi zur Rechten. Direkt vor einer Laterne ist er gelegen, unter der - uns zu begrüßen - jemand ein Sträuchlein pflanzte.
Gleich wird meine gewiefte Frau fulminant in eineinhalb Zügen einem Zug einparken. Keiner der missgünstigen Drängler hinter uns wird auch nur den Hauch einer Chance haben uns zu stehlen, was uns zusteht - PS hin oder her.

"Da vorne ist einer!"
"Na endlich", sagt Anne, "wo denn?", drückt mit Schmackes auf das Gaspedal und rast vorbei.

"Wo denn?", wiederholt sie nach vielen weiteren Metern, "Ich sehe ihn nicht."
"Hinten." sage ich, und blicke mit Wehmut in den Rückspiegel.

"Ganz hinter?". Noch tiefer drückt Anne das Gaspedal herunter, bis schließlich eine Mauer den Weg versperrt. Wir befinden uns in einer Sackgasse.
"Wo soll denn hier ein Parkplatz sein?". Anne ist nicht glücklich.

"Du bist daran vorbei gefahren. Ich hatte 'da vorne' gesagt."
"Ich bin doch ganz vor gefahren!".

Jetzt hat Anne den Blick, den sie bekommt, wenn sie Hunger hat. Mein diplomatisches Geschick ist gefragt.
"Sieh mal", sage ich ("Schatz", hätte ich gesagt, wenn ich "Schatz" sagen würde), "ich habe gesagt, der Parkplatz ist ganz vorne und nicht ganz hinten. Du bist aber ganz nach hinten gefahren. Vielleicht habe ich in der Aufregung genuschelt."

"Wie hinten? Willst Du mir erzählen, ich bin rückwärts gefahren?"
"Nein, nein!" Das Offensichtliche will ich nicht bestreiten." Du bist natürlich vorwärts gefahren, aber eben bis ganz hinten, und der Parkplatz war ganz vorne."

"Hier ist ganz vorne."
"Nein, hier ist ganz hinten, von hinten aus betrachtet. Ganz vorne war da ganz hinten".

So hat es sich zugetragen, vor wenigen Tagen in Mainz, so und kein bißchen anders. Das weitere Geschehen kann hier leider nicht beschrieben werden, da es ein zu schlechtes Licht auf uns wirft und ich nicht ganz sicher sein kann, dass meine Frau meinen Blog nicht doch eines Tages entdeckt.

Was habe ich daraus gelernt? In Rheinhessen ist "ganz vorne" das, was in Westfalen "ganz hinten" ist, allerdings das nach vorne gedachte "hinten" und nicht das rückwärtige. Was allerdings in Rheinhessen das ist, was in Westfalen "ganz vorne" ist, habe ich bislang nicht herausfinden können.

Klar, oder? M.S.

Spargel über'm Rainer

Ein kleiner Rückblick auf einen sonnigen Tag im Mai. Das Leben hat mich nach Rheinhessen verschlagen. Ich genieße: die Menschen sind wie ihr Wetter - die gefühlte Temperatur ist immer warm. Ihre Sprache klingt wie der Fluss an dem sie leben, sie fließt, rauscht und zischelt, Ecken und Kanten sind ihr fremd. Man ist kommunikativ: Zeit für einen Spaß nimmt man sich gerne, egal ob an der Käsetheke oder auf der Post.

Jedenfalls schmeckt es besonders gut, an diesem frühsommerlichen Tag. Wir essen Spargel bei Oma Martina, und ich versuche den zahlreich im Dialekt vorgetragenen Worten zu folgen. Es geht um das, was früher war, um die Amis und noch früher, um die Franzosen, schließlich um den leckeren "Schbaschl". Ich nicke bestätigend auch dann, wenn ich nicht verstehe, und ich hoffe, dass sich der Sinn am Ende erschließen wird. Das Spiel ist etwas riskant, aber wer will schon der Schnösel sein, der ständig um Wiederholung und Übersetzung ins Hochdeutsche bittet?

Der Spargel jedenfalls - das höre ich klar und deutlich - kommt "von über'm Rainer". Das freut mich, denn Rainer kenne ich gut - der wohnt wie ich in Nierstein. Ein Gemüseladen über seiner Wohnung ist mir allerdings noch nie aufgefallen, aber vielleicht handelt es sich ja um eine Art Schwarzmarkt. Hier in Rheinhessen ist ja so Manches unkonventionell.

Rainer selbst weiß nichts vom Gemüsehandel im Obergeschoss, aber er wisse, sagt er, dass die Mieterin über ihm eine große Dachterasse habe, und vor kurzem habe sich ein kleiner Wasserfleck an seiner Badezimmerdecke gebildet. Die Dame ist sehr freundlich, als sie die Tür öffnet: Nein, Spargel verkaufe sie keinen lacht sie, aber sie habe gerade welchen im Topf, und wenn Rainer und ich Appetit hätten, könnten wir gerne gemeinsam mit ihr auf der Dachterasse speisen. Der Spargel sei sicher sehr gut, der käme von über'm Rainer. "Oh" sage ich wissend und nicke, "dann ist er wirklich ausgezeichnet". Dankend muss ich dennoch die Einladung ablehnen, denn schließlich habe ich selbst heute Küchendienst. Es wird wohl auf Spaghetti Bolognese hinauslaufen.

Drei Wochen später habe ich alle Niersteiner Rainers, die ich ausfindig machen konnte, abgeklappert. Keiner hatte Spargel. Die Sache ist mir ein Rätsel, und ich habe den Zeitpunkt verpasst, Oma Martina zu fragen, wo dieser Rainer denn wohne.

So höre ich  jedes Jahr im Frühsommer beim Tischgespräch den Satz: "Der Spargel kommt von über'm Rainer", und wie stets nicke ich freundlich. Irgendetwas allerdings, das spüre ich, stimmt da nicht.

Guten Appetit! M.S.


Guude!


Ich sag's gleich: ich bin kein Rheinhesse, ich tu' nur manchmal so, auch wenn der Rheinhesse das selbstverständlich sofort durchschaut und der Nicht-Rheinhesse ebenfalls schnell dahinter kommt. Aber was bleibt mir denn anderes übrig? Integration wird allenthalben gefordert (auch wenn eher Assimilation gemeint ist). Ich gebe mein Bestes! "Zugezogener" bin ich - das klingt wie eine Mischung aus ungezogen und zugebrettert. So will ich nicht sein - das geht nicht.

Ein Kurde kann einen Gemüseladen eröffnen,  ein Pakistaner eine Pizzeria und ein Ghanaer einen Afroshop. Selbst der Kieler käme noch mit einer Sprottenbude durch. Aber ein Westfale? Würden Sie in meinem BVB-Fanshop kaufen, wenn ich ihn in Nierstein eröffnete? (Sagen Sie "ja", dann mache ich das sofort!) Also gründete ich im Jahr 2013 einen rheinhessischen Mundart-Postkartenverlag. Integrierter geht nicht, dachte ich mir.

Was dann geschah und wie es weiter geht, werden Sie hier künftig in ungezogener Reihenfolge lesen können, natürlich nur wenn sie mögen. Mögen Sie bitte?

Tüssken! M.S.

 
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